regional- und minderheitensprachen: ein kampf ums überleben

ein beitrag aus ausgabe 4
vom 18.07.2021
Verfasst von Maurice Zurstraßen
https://unsplash.com/@rjhaywood

Uus Babe in ’n Heemel,
läit hilliged wäide dien Noome.
Läit kuume dien Riek.
Läit geböare dien Wille,
as in ’n Heemel so uk appe Äide.
Uus deegelke Brood reek uus dälich.

Dieses Gebet kennen wir alle, allerdings sprechen wir das „Vaterunser“ üblicherweise nicht in Saterfriesisch (auch Saterländisch genannt). 1500 bis 2500 Menschen sprechen diese anerkannte Minderheiten- oder Regionalsprache in der norddeutschen Gemeinde Saterland (Landkreis Cloppenburg). Damit zählt die Sprache zu einer der kleinsten Sprachinseln Europas. Außerdem gibt es eine weitere Besonderheit: Saterfriesische ist der einzige Dialekt der ostfriesischen Sprachen, der heute noch gesprochen wird. Zur friesischen Sprachgruppe gehören neben dem Saterfriesischen noch das Nordfriesische (Kreis Nordfriesland in Schleswig-Holstein, Halligen & Helgoland) und das Westfriesische (niederländische Provinz Friesland). Im Osten Deutschlands existiert eine weitere Regional- oder Minderheitensprache:

Jo, we Błotach, tam su doma

hyšći Serby z wěrnosću;

chtož jo serbski, njeposroma    

tam rěc swoju maminu.

Ja, im Spreewald gibt’s noch heute

Sorben, fest in altem Brauch;

Ihre Sprache pflegen unsre Leute

Ohne Scham dort heute auch.

Das Niedersorbische wird von ungefähr 7.000 Menschen in der Niederlausitz gesprochen. Zusammen mit der nordfriesischen Sprache und dem Saterfriesisch zählt sie zu den akut vom Aussterben bedrohten Sprachen. Ein Schicksal, das sehr vielen Sprachen droht.

UNESCO: hälfte aller sprachen wird verschwinden

2012 sorgte eine Prognose der UNESCO für Aufregung. Demnach sei die Hälfte der 6.000 Sprachen, die zu diesem Zeitpunkt weltweit gesprochen wurden, vom Verschwinden bedroht. Alle zwei Wochen würde eine Sprache verloren gehen. Die Gesellschaft für bedrohte Sprachen geht hingegen davon aus, dass ein Drittel der Sprachen innerhalb der nächsten Jahrzehnte ausstirbt [Quelle].

Der Großteil der Sprachen findet sich in Asien (mehr als 2.000), in Europa gibt es nur etwas mehr als 200. In Papa-Neuguinea leben nur an die 4 Millionen Menschen, aber dort gibt es über 800 verschiedene Sprachen. Damit ist das Land absoluter Spitzenreiter. Warum aber sind Minderheiten- und Regionalsprachen so stark bedroht?

die macht der nationalsprachen und der sprachpolitik

Minderheiten- oder Regionalsprachen stehen unter dem großen Druck der jeweiligen Nationalsprache, die im jeweiligen Land dominiert. Viele Menschen geben ihre traditionelle Sprache zugunsten der Nationalsprache auf. Eltern wollen, dass ihre Kinder die Nationalsprache statt der Regionalsprache lernen. Damit versuchen sie ihnen eine Zukunftsperspektive zu bieten. Sie glauben, dass ihre Kinder damit später mehr Chancen haben. Ein wichtiger Einflussfaktor, der hier ins Spiel kommt, ist die von den jeweiligen Ländern betriebene Sprachpolitik. Frankreich und Spanien sind dafür gute Beispiele.

In diesen Ländern spielen Regionalsprachen eine wichtige Rolle. Immer wieder kommt es zu Konflikten zwischen Anhängern der Regional- und Minderheitensprachen und dem Staat, der sich insgesamt eher für die Nationalsprache stark macht. In der Vergangenheit wurden die Regional- oder Minderheitensprachen stark unterdrückt und teilweise verboten. Beispielhaft sei hier für Spanien die Franco-Diktatur und für Frankreich die Zeit nach der Französischen Revolution genannt. Die UNESCO listet  in ihrem Atlas der der bedrohten Weltsprachen fast 2.500 gefährdete Sprachen auf [Quelle]. Für Frankreich werden 26 Sprachen aufgeführt, für Deutschland 13 und für Spanien 5.

umgang mit regionalsprachen: frankreich und spanien im vergleich

In Spanien hat sich die Situation der Regionalsprachen Ende des 20. Jahrhunderts verbessert. Dies ist der 1978 verabschiedeten Verfassung zu verdanken. Das Kastilische wird dort zwar als offizielle Sprache des Staates aufgeführt, in den jeweiligen Autonomen Gemeinschaften gelten die anderen spanischen Sprachen (Katalanisch, Galizisch, Baskisch etc.) aber ebenfalls als Amtssprachen. Die katalanische Sprache stellt allerdings auch eine Besonderheit dar und hat viel mehr Einfluss als alle anderen Regionalsprachen. Mit etwa elf Millionen Sprechern ist sie die meistgesprochene Regionalsprache in der EU. Aber auch in Spanien kommt es immer wieder zu Konflikten, vielleicht auch gerade weil das Katalanische so mächtig ist. Anfang des Jahres löste ein geplantes Bildungsgesetz Streit aus. Die autonomen Regionen würden damit mehr Einfluss auf die Bestimmung der Lehrpläne bekommen [Quelle].

Frankreich hingegen erkennt die Regionalsprachen (Okzitanisch, Korsisch, Bretonisch, Katalanisch etc.) weder auf staatlicher noch auf regionaler oder lokaler Ebene als Amtssprache an, es gilt weiterhin die Einsprachigkeit („Französisch ist die Sprache der Republik“). Zwar wird die Bedeutung des „kulturellen Erbes“ betont, der französische Staat ist aber nur dazu bereit, geringfügige Zugeständnisse zu machen. Ende Mai dieses Jahres gingen Bretonen, Elsässer und Korsen auf die Straße und teilweise sogar vor Gericht, um ihre Regionalsprache zu fördern [Quelle].

Neben der Sprachpolitik gibt es natürlich auch noch weitere Faktoren, die einen Sprachtod begünstigen. Dazu zählen die Globalisierung, Naturkatastrophen, Kriege oder Urbanisierung. Die Sprecheranzahl ist nicht entscheidend, sondern die Weitergabe der Sprache über Generationen. Auch die Integration der Sprachen im Bildungssystem spielt eine entscheidende Rolle.

Mit dem Tod oder Verschwinden einer Sprache geht nicht nur die Sprache verloren, sondern auch weitere Aspekte. Dazu zählen einerseits die einer Sprache innewohnenden Konzepte von Bezeichnungen und Sicht auf die Welt. Andererseits verschwindet mit einer Sprache auch ihr kulturelles Erbe: Legenden, Gedichte, Sprichwörter und ähnliches. Letzten Endes ist nur eine Tatsache sicher: Sprachen sind lebendig und verändern sich. Das gilt für alle Sprachen.

Maurice

Maurice

Freier Autor

Maurice studiert Online-Redaktion an der TH in Köln. (Ein Bachelor hatte ihm ja nicht gereicht.) Wenn er nicht gerade schreibt, versucht der große Konzert-Fan vergeblich Roger Federer nachzueifern. Dass er noch nie einen Tropfen Alkohol zu sich genommen hat, hilft der Tenniskarriere auf jeden Fall auf die Sprünge.

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