wahlbeteiligung an deutschen hochschulen & Universitäten: rückgang studentischer initiative

ein beitrag aus ausgabe 5
vom 06.10.2021
Verfasst von Simon Pycha
Arnaud Jaegers via Unsplash

utopie: autokratie „bildungsinstitution“

Man stelle sich vor: Studium (ohne studentische Unterstützung) im Jahre 2120

Die Tutoriumsräume sind leer – die Köpfe vieler Studierender auch. Die Hochschule ist der Schauplatz der Ungerechtigkeit dieses Landes. Dabei lief Vieles vor langer Zeit noch so gut! Mittlerweile sind die Beratungsstellen dichtgemacht worden: Keine Hilfe beim Prüfungsrecht, soziale, finanzielle oder psychologische Betreuung – dafür bleibt keine Zeit mehr. Das Mitspracherecht der Studierendenschaft ist auf dem Nullpunkt, direkt neben der Motivation. Was studentische Gremien genau sind, wissen nur noch Überlebende mit dreistelligen Semesteranzahlen. Das Studierendendasein wurde immer härter.

Eins ist universell: Wer in der Vorlesung schläft, wacht in der Dystopie auf. 

der drastische rückgang studentischer beteiligung

2016 titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung „Stell dir vor es sind Wahlen – und keiner geht hin“ als Reaktion auf die generell geringe Wahlbeteiligung in der studentischen Hochschulverwaltung. Denn auch wenn viele es nicht wissen: deutsche Bildungsstätten beherbergen ähnlich zur staatlichen Selbstverwaltung eigene Gremien (darunter das Studierendenparlament, den Allgemeinen Studierendenausschuss, Fachschaftsräte & mehr), die von der Studierendenschaft gewählt werden und hochschulinterne Abläufe regeln.

Eine Pandemie und vier Digitalsemester später ist die Situation allerdings katastrophal. Die Umfragewerte fielen von der bereits damals schlechten Ausgangslage in absolute Tiefen. Was muss geschehen, damit Studierende ihr Wahlrecht in allen gesellschaftlichen Facetten wahrnehmen?

Während die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2017 in der Altersgruppe der 18- bis 27-Jährigen bei 70,4% lag, verzeichnete die Technische Hochschule Köln in den Gremienwahlen im aktuellen Turnus eine Beteiligung von lediglich 1,87%. Dabei handelt es sich um ein Defizit von -6,65% gegenüber der letzten Präsenzwahl im Jahr 2019. Ein ähnlicher Rückgang wird bei der vergangenen Bundestagswahl glücklicherweise nicht zu erwarten sein. Stattdessen registrierten diese immens niedrigen Werte fast alle Bildungseinrichtungen, darunter beispielsweise die Ruhr-Universität Bochum (-8,26% auf 1,54% von 2019 auf 2021), die Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf (-7,34% auf 1,12%) oder die Humboldt-Universität in Berlin (-6,29% auf 1,73%). Auch wenn es sich bei den Wahlen um unterschiedliche Ebenen handelt, so stellt sich doch die Frage: Woher kommt die selektive Wahrnehmung und Desinteresse der gesellschaftlichen Verpflichtung in Form des Wahlrechts? Schließlich beeinflussen beide Wahlergebnisse das alltägliche Leben studierender Personen.

Manny Becerra via Unsplash
Tabelle: Wahlbeteiligung an deutschen Hochschulen 2017-2021

neuland „online-wahlen“

Auch wenn der Schrei nach einer Stimmabgabe über digitale Portale jedes Semester größer wird, haben nur die wenigsten Institutionen dieses Verfahren in der eigenen Wahlordnung verankert. Abgesehen von der sachdienlichen digitalen Ausrichtung der Fernuniversität Hagen bieten wenige weitere Organisationen wie die RWTH Aachen oder die Technische Universität Berlin diese Option bereits für die breite Studierendenschaft an. Die Tendenz zeigt: Auch hier kommt es zu einer geringeren Beteiligung in Zeiten der Digitalsemester, jedoch ist der Abfall nicht so stark wie bei analogen (und postalischen) Wahlergebnissen. Die Zahlen der RWTH Aachen zeigen, dass Online-Wahlen eine Grundmenge an Wählenden sichern können, die bei einer nicht-existenten Präsenzphase eindeutig fehlen.

anreize zur erhöhung der bildungs­entscheidenden partizipation

1966 erzielte die Universität zu Köln mit 62% Wahlbeteiligung die höchste Stimmabgabe in der Geschichte der Gremienwahlen der Institution. Reihenweise strömten die bereitwilligen jungen Menschen an die Wahlurne. Das Ziel, die eigenen studentischen Interessen in das Parlament zu bringen, war allerdings nur sekundär: Viel stärker war der Ansporn durch die Möglichkeit, einen roten VW Käfer zu gewinnen.

Als Reaktion auf den extremen Rückgang in der Wahlbeteiligung in den letzten Jahrzehnten wurde immer wieder auf Hilfsmittel zurückgegriffen, die die Bereitschaft der Studierenden erhöhen sollen. Von Bier über Glühwein hin zu Kleinigkeiten wie Stiften, Blöcken und alles, was das studentische Herz kurzzeitig höherschlagen lassen soll. Allerdings nur mit mäßigem Erfolg: Die Zahlen der Wahlbeteiligung erhöhten sich trotz der Anreize nicht mehr merkbar.

hindernisse und zukunft der studentischen selbstverwaltung

Auf welchem Fundament fußt die Bereitschaft, die studentische Selbstverwaltung als eigene Pflicht wahrzunehmen? Auch wenn – im Gegensatz zu den Präsenzzeiten vor den pandemiebedingten Digitalsemestern – die Laufbeteiligung beim Urnengang innerhalb der Hochschul- und Universitätsgebäude höher war, liegt das eigentliche Problem dennoch viel tiefer: Die minimale Sichtbarkeit der Hochschulgremien sowie die fehlende Transparenz studentischer Strukturen und Arbeit nach außen hin veranlassen den Großteil der Studierendenschaft, am Wahltag kein Kreuzchen zu setzen.

Jemanden für wichtige Dinge zu begeistern – in der Not auch mit kleinen Anreizen – ist eine einfache Masche, allerdings nicht dauerhaft zielführend. Stattdessen muss eine stärkere Identifikation mit Inhalten, Bedeutung und Zukunft der hochschulpolitischen Lage erfolgen, sodass ein intrinsisches Umdenken zu höherer Beteiligung stattfinden kann. Sichtbarkeit und Informationsdichte auf dem Campus und in den Hörsälen vermeiden den Fall, dass Studierende sich zu schlecht informiert fühlen. Das Herbeiführen einer attraktiven Partizipationskultur legt die Grundlage für den individuellen Antrieb.

Simon Pycha

Simon Pycha

Autor, Social Media

Simon studiert Data Science, hat aber schon einen Bachelor in Linguistik. Er verwaltet unsere Social-Media-Präsenz und ist für die Kommu­nikation nach außen verantwortlich. Somit ist er Ansprechpartner für Gäst:innen­beiträge, freie Mitarbeitende und Leser:innen­briefe. Er bereichert das Team aber vor allem mit seinen eigenen redaktionellen Fähig­keiten, die nicht nur in akkuraTH, sondern auch im t3n Magazin und bei pressrelations erschienen sind. Darüber hinaus ist er Mitglied der Jugend­presse Rheinland und Teamer der Mobilen Medien­akademie. Er ist Chef­redakteur der Herzen.

Kontakt: simon@akkurath.com

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