digitale lehre: vom hörsaal vor die webcam

ein beitrag aus ausgabe 1
vom 11.04.2020
Verfasst von Elisabet Bästlein

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Campus-IT.

Im Sommer­semester 2020 mussten Lehrende und Studierende völlig unerwartet vom Hörsaal vor die Webcam umziehen. Und sicher, Home Office hat den großen Vorteil, die Arbeitszeit ohne Hose verbringen zu können. Vielleicht haben ganz hart­gesottene Studierende sogar ihre digitale Prüfung unter einem erweiterten Unterhosen­radius abgelegt. Wir werden es wohl nie erfahren. Aber das kann nicht die einzige Chance sein, die die digitale Lehre uns bietet.

Was bedeutet das vergangene Semester folglich für die Hochschul­lehre?

An einigen Stellen wurden Vorschläge laut, die Präsenz­lehre vollständig abzuschaffen. Eines der Haupt­argumente ist die Barriere­freiheit der digitalen Lehre. Dank technischer Anpassungen ist das bestehende Online-Angebot der Hochschulen heute fast vollständig barrierefrei. Auch die Anpassung der Prüfungs­formate hat in vielen Fach­bereichen erstaunlich gut funktioniert. Die Kreativität der Hoch­schulen in der Umsetzung dieser unerwarteten Neuerungen sollte an dieser Stelle auch noch einmal betont und gelobt werden.
Eine Abschaffung der Präsenz­lehre würde auch bedeuten, dass die Wohnungs­not in den Universitäts­städten verringert werden kann. Nicht nur die Studierenden, sondern auch das jeweilige Land, können dadurch dauerhaft Ausgaben einsparen. Wenn kein Studierenden­zimmer in einer Stadt mit hohen Miet­preisen notwendig ist, werden auch weniger Wohngeld­zuschüsse und niedrigere BAföG-Sätze beantragt.

Beispielbild: digitale Vorlesungen und Videokonferenzen

Dabei müssen die technischen Möglich­keiten, an einer Lehr­veranstaltung oder Prüfung per Videokonferenz teilzunehmen, trotzdem für alle Studierenden gewährleistet sein: Ganzen Gruppen von Menschen den Zugang zur Bildung zu nehmen, würde die soziale Gerechtigkeit immens untergraben – ohnehin steht diese schon vielerorts auf der Kippe.

In den Hörsaal zurück: Grenzen der Präsenzlehre

Auch in Fächern, die Praktika erfordern z.B. den Ingenieurs- und Natur­wissenschaften und im Lehramt kann die digitale Lehre die Präsenz­lehre allenfalls ergänzen, aber nicht vollständig ersetzen. Auch die Zusammen­arbeit im Team für Projektarbeiten sich durch einen vollständig digitalen Ablauf verändern. Und das möglicher­weise nicht unbedingt zum Positiven. Hinzu kommt folgende sozial­psychologische Frage: was würde mit der kommenden Generation passieren, wenn ein Großteil der Studie­renden bis zum Studienabschluss oder gar bis zur Promotion bei ihren Eltern wohnen bliebe?

Das könnte schließlich durch die verlängerte Regel­studienzeit, die neuen Heraus­forderungen in der Schul­bildung, aber auch ganz individuell je nach Lebens­lauf und -umständen bis weit über das dreißigste Lebens­jahr hinaus dauern. In vielerlei Hinsicht ist die Studien­zeit auch eine Phase der Selbst­findung. Vor allem bei jenen, die im Augen­blick studieren. Berufliche und persönliche Erfahrungen sammeln die meisten Studie­renden an der Seite ihrer Kommiliton:innen, die gerade in derselben Lebens­phase stecken. Was wird passieren, wenn diese ihr berufliches und soziales Umfeld gar nicht kennenlernen? Abschließend kann man wohl sagen, dass die Chancen der Online-Lehre genutzt werden können und sollten – Bestenfalls ergänzend zur Präsenz­lehre. Und wenn es noch keine pharma­zeutische Lösung für Covid-19 gibt, dann vielleicht zeitnah eine logistische. Daher bleibt uns allen nichts anderes übrig als abzuwarten. Bis jemand eine bessere Idee hat.

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Hier ist unser Artikel zu digitalen Prüfungen

In der Süddeutschen findet ihr einen Kommentar eines Dozenten der Uni Freiburg

Elisabet Bästlein

Elisabet Bästlein

Redaktionsleitung

Elisabet versuchte einige Jahre lang vergeblich, ihr Studium der pharmazeutischen Chemie zu beenden. Heute arbeitet sie als Content-Managerin für ein Unternehmen in Bonn. Vor ihrer Studien­zeit war sie als freie Journalistin in der Kreis­redaktion Nord­friesland des Schleswig-Holsteinischen Zeitungs­verlages (sh:z) tätig.

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