mehr als ein ort der ruhe

ein beitrag aus ausgabe 2
vom 18.01.2021
Verfasst von Kooperation

Der Friedhof ist der bessere Park. Hier zu spazieren, macht den Kopf frei und entspannt.

Friedhöfe haben für mich eine ganz besondere Faszination. Dabei bin ich alles, aber kein Goth. Aber ich gehe einfach gerne über einen Friedhof spazieren und besuche verstorbene Prominente. Wahrscheinlich entstand das als Kind, als ich mit meiner Oma oft auf den Neuen Annenfriedhof in Dresden gegangen bin, um verstorbene Verwandte zu besuchen. Wir sind dann immer durch das schwere Eisentor durch, vorbei an der Trauerhalle mit dorischen Säulen, über eine breite Allee zu dem Familiengrab. Immer wieder derselbe Weg. Dort haben wir jedes Mal die knochentrockene Erde gehäkelt, Primeln gepflanzt und ich bin mit einer schweren Gießkanne umher gelaufen und habe die Pflanzen gegossen. Für mich ist das eine prägende Erinnerung. Und dieser Friedhof ist wirklich besonders schön. Neben den klassischen Urnengräbern gibt es große Wiesen mit vereinzelten Bäumen, auf denen man sich begraben lassen kann. Einige Wiesen werden aber nicht mehr als Gräber ausgewiesen und schon hat man das Gefühl, in einem Park zu stehen. Meine Oma erzählte mir mal, dass auf dem Friedhof einmal im Jahr ein Orchester spielte und das früher ein richtiges Event war. Später, als ich das erste Mal alleine gewohnt habe, wohnte ich fünf Minuten von dem Dresdner Friedhof weg, auf dem der Maler Caspar-David Friedrich begraben sein soll. Ich bin da einen Tag mal über den gesamten Friedhof geirrt, weil ich unbedingt an seinen Grabstein wollte. Ich habe ihn leider nicht gefunden. 

Harry Potter und die Beatles auf dem Friedhof

Der Friedhof ist für mich der bessere Park. Die Besucher*innen werden andächtig, die meisten steigen vom Fahrrad ab, keiner spielt oder brüllt. Es herrscht eine absolute, innere Ruhe. Solche Orte haben wir selten in der Stadt. Auf einem Friedhof kann ich viel intensiver über Probleme nachdenken und mich entspannen. Dabei reicht es mir, eine Runde zu drehen und schon fühle ich mich besser. Während des Spazierens werde ich zwar sentimental. Aber danach genieße ich die Zeit mehr als davor

Wenn ich im Dunklen an einer Friedhofsmauer entlang nach Hause laufe, fühle ich mich alles andere als entspannt. Ein Friedhof ist nur tagsüber zum Spazieren da und nur wenn die Sonne scheint. Dann wirkt der sonst triste Ort freundlich und einladend. Bei den monumentalen Steinen oder den Gruften überlege ich mir dann, wie teuer das wohl für die Angehörigen war. Wer einmal ein Familienmitglied beerdigen musste, weiß, dass schon ein normaler Stein mehrere Tausend Euro kostet. Außerdem schaue ich mir die Namen der Verstorbenen an, rechne aus, wie alt sie geworden sind und überlege, was sie so erlebt haben könnten und wie es wohl so war, in ihrer jeweiligen Zeit aufgewachsen zu sein. Anhand der Grabgestaltung versuche ich zu erschließen, wie der Mensch gelebt hat oder wie ihn Verwandte in Erinnerung halten wollen. Die einen stehen auf Kitsch, die anderen auf farbenfrohe Blumen. Es ist für mich kein Wunder, dass J.K. Rowling auf einem Friedhof den Namen eines Harry Potter-Protagonisten gefunden hat. Auf dem Friedhof Greyfriars Kirkyard soll ein Grabstein vom Tom Riddell stehen, den sie im Buch zu Voldemort, bürgerlich Tom Riddle, machte. Der Woolton-Friedhof in Liverpool ist eine Touristenattraktion, weil sich dort ein Grab von Eleanor Rigby findet, namensgleich mit einem Beatles-Song.

Besuch bei Piaf, Wilde und Morrison

Jetzt wohne ich in Köln, nicht weit vom Friedhof Melaten weg. Der Friedhof wurde Anfang des 19. Jahrhunderts auch als öffentliche Grünanlage und Erholungsstätte geplant. Eine steinerne Friedhofsmauer trennt dort die Stille vom Lärm der Straße. Drinnen spazieren die Kölner*innen, draußen rauschen die Autos auf der stark befahrenen Aachener Straße vorbei. Wenn man in der Mitte des Friedhofs steht, hört man kein einziges Auto mehr und das Singen der Vögel wird hörbar. Der Melaten ist groß, jede Ecke ist unterschiedlich gestaltet. Es gibt kleine, verwachsene Pfade, genauso wie breite, helle Alleen. An den Hauptwegen übertrumpfen sich die Gräber gegenseitig, eins ist auffälliger als das andere. Hier war ich kürzlich, um die Gräber von Dirk Bach und Guido Westerwelle zu sehen. 

Gräber verstorbener Prominenter zu besuchen, scheint ein echtes Hobby zu sein. In Paris war ich vor einigen Jahren mit zwei Freunden auf dem bekannten Friedhof Père Lachaise, einem der schönsten Friedhöfe der Welt. Der Architekt der Kölner Melaten soll sich den Pariser Friedhof zum Vorbild genommen haben. Père Lachaise liegt an einem Hügel, durch die engen Gassen hinauf muss man sich mit vielen anderen Tourist*innen durchkämpfen. Zwei Millionen Personen besuchen den Friedhof im Pariser Osten jedes Jahr. Hier liegen unter anderem Chanson-Sängerin Edith Piaf und Autor Oscar Wilde. Vor Piafs Grab hatte ich automatisch „La vie en rose“ im Kopf und habe ein bisschen gesummt. Nur wenige Meter neben Jim Morrison wurde eines der Opfer der Terroranschläge in Paris beerdigt. Und als ich vor dem Grabstein stand, musste ich weinen. Ich kannte die Frau nicht. Aber das Bild, das von ihr vor dem Stein stand, die vielen Blumen, die auf dem Grab abgelegt wurden und die Erinnerungen an die Anschläge machten mich traurig. Ich hatte das Gefühl, den Schmerz ihrer Liebsten mitfühlen zu können. Nachher habe ich erfahren, dass der Friedhof auch ein Treffpunkt für Schwule sei, die auf der Suche nach schnellem Sex durch die Gassen cruisen und dann in den kleinen Gruften verschwinden. An keinem anderen Ort liegen Spaß und Trauer so nah wie auf dem Friedhof Père Lachaise. 

Dieser Text ist ein Gastbeitrag des AStA der Rheinischen Wilhelms-Universität Bonn

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