wenn eine fakultät das nest verlässt – wo sind eigentlich die chemiker:innen der TH?
Die Geschichte um Bayer
Es ist jedoch auch aus historischen Gründen nicht weit hergeholt, eben dort den Hochschulstandort für die Fakultät 11 zu veranschlagen. Denn der 1863 in Barmen (heute Wuppertal) gegründete Konzern Bayer (anfangs Hersteller von Farben und Lacken, später vorwiegend Arzneimittelproduktion) weitete sich aus Platzgründen und zur Vereinfachung der Abwasserentsorgung auf einen zweiten Standort aus, der nordöstlich von Köln direkt am Rhein liegen sollte. Auf diesem Gebiet war zuvor der Standort der Firma Leverkus gelegen, die aus wirtschaftlichen Gründen ihre Anlagen verkaufen wollte. Um dem Personal einen Anreiz zu geben, sich an den neuen Standort versetzen zu lassen, wurde in unmittelbarer Umgebung des Chemparks eine Art Arbeiterdorf errichtet. Mitarbeitende und deren Partner:innen und Familien hatten die Möglichkeit, kostengünstig in unmittelbarer Nähe zum Arbeitsplatz zu wohnen.
1930 wurde im Zusammenschluss mit den Gemeinden Schlebusch, Steinbüchel und Rheindorf sowie der Stadt Wiesdorf eine neue Stadt gegründet – Leverkusen.
Mit den Jahren kamen verschiedene Freizeitangebote für die Mitarbeitenden der Firma hinzu. So gab es ein Bayer-Orchester, es wurde der bis heute sehr erfolgreiche Fußballverein Bayer 04 Leverkusen gegründet und schließlich errichtete Bayer aus Marketing- und Wiedererkennungsgründen sogar ein Stadion auf dem Leverkusener Stadtgebiet: Die BayArena. (Dass die Lanxess-Arena ohne Bayer auch nicht existieren würde, weil Lanxess eine Tochtergesellschaft von Bayer ist, die sich 2004 aufgrund einer Umstrukturierung abgesetzt hatte, vergessen viele Kölner:innen aber heutzutage.) In diesen Jahren gab es in der Region kaum Arbeitsstellen, die begehrter waren als das Rundum-Sorglos-Familienpaket der Bayer AG.
Besonders nach der beinahe zufälligen Entdeckung des Wirkstoffes Acetylsalicylsäure im Jahr 1897, später bekannt als Aspirin™, erlebte die Bayer AG ein rasantes Wachstum und astronomische Umsätze. Und so entstünde laut einer Aussage vom damaligen Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans vom Juni 2014 am neuen TH-Standort “Mit einem gelungenen Mix aus Wohnen, Bildung, Arbeit und Freizeit […] lebendige Gemeinschaft”.
Das kommt uns doch plötzlich irgendwie bekannt vor, oder?
Laut der Rheinischen Post wurde der Bau dieses neuen Standortes übrigens mit insgesamt einer Million Euro von der Bayer AG und der Lanxess AG bezuschusst. Ist ja auch klar, dieses Konzept war ja für die Konzerne vor 150 Jahren schon einmal sehr erfolgreich.
Die Zeit ist um und alle Fragen offen
Nun sind zuerst der Baustart und dann die Eröffnung des neuen Standorts verschoben worden. Bleibt die Fakultät 11 vielleicht noch ein weiteres Jahrzehnt im “Hotel Currenta”? Wahrscheinlich nicht. Aber wie das Chemiestudium an der TH in den neuen, eigenen Räumlichkeiten aussehen wird, scheint dennoch in den Sternen zu stehen. Die letzte verfügbare Pressemitteilung zum Thema ist von 2015. Seither ist viel Dünnsäure den Rhein hinunter gelaufen, ob es außer der Verschiebung noch Neuigkeiten gab, ist schwer zu sagen, denn Berichte wie der des Bau- und Liegenschaftsbetriebs NRW zur Fertigstellung der Rohbauarbeiten des Gebäudes (2018) sind nicht mehr einsehbar.
Diskussionsstoff bietet die Situation in und um die Fakultät 11 aber dennoch. So macht die elektronische Abriegelung des Campus bisweilen organisatorische und strukturelle Probleme, und die Abhängigkeit von den Chempark-Unternehmen führt gerade in Zeiten einer Corona-Pandemie zu immer neuen Regelungen und Besonderheiten.
Doch auch mit dem Neubau scheint man es niemandem recht machen zu können. Heftige Kritik musste die TH einstecken, als die Grünen im Mai 2020 von den Steingärten um das neue Gebäude herum erfuhren – sicher zu Recht. Dennoch ist der kostspielige Neubau scheinbar kaum besser als die letzte Lösung. Also wo sind die Chemiker:innen der TH? Und vor allem, wo werden sie nach 2021 sein?
Elisabet Bästlein
Redaktionsleitung
Elisabet studiert pharmazeutische Chemie. Vor ihrer Studienzeit war sie als freie Journalistin in der Kreisredaktion Nordfriesland des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages (sh:z) tätig.