bestandsaufnahme oder: nach der (verungl-)impfung
beitragsübersicht
Anfang des Jahres ist in der zweiten “akkuraTH” ein Artikel erschienen, in dem ich den Zulassungsprozess des Covid-Vakzins von BioNTech-Pfizer kritisch beleuchtet habe. Die Reaktionen darauf waren, trotz unserer damals sehr geringen Reichweite, durchaus polarisierend und teilweise wenig wohlwollend. Seither sind sechs Monate vergangen, ich habe mich bei der erstbesten Gelegenheit mit dem besagten Impfstoff impfen lassen und würde gern meine kritische Beleuchtung vom Januar noch einmal kritisch beleuchten.
Diese Bestandsaufnahme besteht aus drei Teilen.
teil I:
was ich falsch eingeschätzt habe und wo ich anderen heute recht gebe
a. die datenlage
Der Artikel vom Januar ist entstanden, lange bevor Daten aus Israel bekannt waren, lange bevor man über das Nebenwirkungsprofil des Impfstoffs von Astra Zeneca sprach und ehe Pfizer die Daten der Zulassungsstudie veröffentlicht hatte. Tatsächlich ist der Impfstoff Comirnaty ausgesprochen gut verträglich, hält (bisher) auch den Schutz, den er verspricht. Somit er ein wichtiges Teilchen in dem Mosaik, das uns hoffentlich aus der Pandemie und der damit verbundenen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Krise hinausführen wird. Was wir heute aber auch wissen: Impfen allein wird Covid nicht beenden.
Die Nebenwirkungen, deren Geringfügigkeit ich auch unter Eid bestätigen würde, waren nicht das, was in mir das Bedürfnis geweckt hat, einen Artikel über die Zulassung der Impfstoffe zu schreiben. Es war eher die Sorge, dass die Markteinführung des Impfstoffs ohne Daten aus Langzeitstudien ein Schnellschuss aus einer Angst und einer Gier heraus gewesen sein könnte. Ganz so war es aber offensichtlich nicht, da gebe ich den Medien, den Zulassungsbehörden und den Geimpften eingeschränkt Recht. Allerdings sollte auch diese Befürchtung differenziert betrachtet werden – ich greife diese Aussage später im Text noch einmal auf.
Die Datenlage war schlecht, sehr schlecht zum Zeitpunkt der Zulassung und das hätte vor allem bedeuten können, dass sobald etwas schiefgeht, so wie beim Impfstoff von Astra Zeneca, es Wasser auf die Mühlen aller Verweiger:innen sein könnte, ganz unabhängig davon, wie wichtig der Impfschutz für die Allgemeinheit ist. Aber dieses Risiko ist natürlich nichtig, wenn man es den gefährdeten Menschenleben gegenüberstellt, und das habe ich nicht korrekt dargestellt.
b. die wirtschaftslage und die verhinderung weiterer todesfälle
Auch muss ich meine suggestive und deutlich erkennbare Kritik am Zulassungstempo ein wenig relativieren: Natürlich war es damals und ist es immer noch dringend, eine Impfung zur Verfügung zu stellen, die die Gefahr durch das Coronavirus eindämmen kann. Die Wirtschaft benötigt einen Rückgang der Infektionszahlen und damit eine deutliche Lockerung der Maßnahmen, ganz zu schweigen von den sozialen Folgen der Lockdown-Maßnahmen und den Einzelschicksalen, die durch Corona eine Wendung zum Schlechteren genommen haben.
Ich habe dabei aber eher die Grundsätze im Kopf gehabt, die ich in meinem Studium in Bezug auf Arzneimittelentwicklung erlernt habe: Erst testen, dann sichern, dann zulassen. Wichtig dabei: Menschenrechte und Zugang der Patient:innen zu den notwendigen Informationen.
Aber eine Impfung, die einen Schutz verspricht, zuzulassen, ist und bleibt vor diesem Hintergrund alternativlos, und dem habe ich nichts hinzuzufügen.
teil II:
was das eigentliche problem ist und was ich nicht thematisiert habe
a. das management „von oben”
Die Pandemie hat alle Länder der Erde kalt erwischt und es ist viel schief gegangen, weil man schneller handeln musste als Informationen verfügbar sein konnten.
Aber: vorbildliches Management sieht eben wirklich anders aus. Gleich zweimal wurde Impfstoff versprochen, der dann entweder nicht ausreichend bestellt oder nicht wie versprochen geliefert wurde. Buchung, Personalaufwand, Lagerbedingungen und technische Voraussetzungen wurden mehrfach falsch eingeschätzt und die Lieferkette wurde an jeder erdenklichen Stelle dadurch unterbrochen.
b. Die wirtschaftslage und die verhinderung weiterer todesfälle
Aber die Pandemie ist nicht vorbei, weil dann irgendwann in Köln, in NRW oder in Deutschland alle geimpft sind. Das Virus kann im Globalen Süden weiter mutieren und irgendwann wird es genetisch so weit von unseren Impfstoffen entfernt sein, dass Corona wieder da ist – und zwar stärker und zerstörerischer als jemals zuvor. Bereits jetzt macht sich die Sorge breit, dass wir diesen Punkt schon erreicht haben.
Nun sichert der Impfstoff den Herstellern aber ein Monopol und wenn man die genauen Daten nicht freigibt, kann niemand das Medikament billiger „nachbauen”, Stichwort Patentrecht. Heißt im Umkehrschluss: Impfungen bleiben ein sehr knappes Gut, was nicht nur in Deutschland Probleme macht, sondern die Impfung in Ländern mit schlechterem wirtschaftlichem Status vollkommen unbezahlbar macht.
Leider ist diese Praxis sehr gängig, weil die Pharmaindustrie ein Druckmittel hat, das überall unabhängig von Wechselkursen hohe Preise wert ist, und das ist die Gesundheit der Menschen. Die Herstellung desselben Medikaments unter geringen Kosten und mit geringeren Zielpreisen ist erst nach der so genannten Marktsättigung üblich: Die Leute reißen ihnen das Medikament nicht mehr aus der Hand, es hat Umsatz und Gewinn erzielt, dann kann es auch freigegeben werden. Da Gesundheit aber immer eine Nachfrage erzeugt, sind diese Produktlebenszyklen bei Medikamenten sehr lang. Allein das Schmerzmittel Aspirin hat mehr als ein Jahrhundert und einen Nobelpreis benötigt, um bis zur Sättigung vertrieben zu werden. Einige Medikamente mit angenehmen Nebenwirkungen haben einen Schwarzmarkt entwickelt und sind somit praktisch nie in der Sättigungsphase, dazu gehören Heroin, Fentanyl, Valium, Viagra und Tavor, um nur die gängigsten zu nennen.
Da gilt das „Sozial” in einer sozialen Marktwirtschaft nicht mehr. Denn in Deutschland schafft man die 80 oder die 100 Jahre in vielen Fällen recht bequem, bevor es hässlich wird. Es gibt natürlich Stiftungen und Organisationen, wo reiche Länder für arme Länder spenden können, die dann Impfstoffe für ihre Bevölkerung kaufen können. Die WHO hat dafür auch einen Topf. Da zahlt nur niemand etwas ein, weil alle den Impfstoff für sich allein haben wollen. Für die gut Informierten ist das keine neue Erkenntnis, sondern eine logische Folgerung aus einer Lage, die die ganze Zeit so gelaufen ist und jetzt zum Problem wird. Allerdings löst es ein ganz bestimmtes Gefühl aus.
c. Die gefühlslage und die schwarmintelligenz
Und damit kommen wir zum eigentlichen Problem: Der Wut.
Egal, wie viele politische Lager sich aufgrund der sozialen Ungerechtigkeiten und der prekären Corona-Situation gebildet oder einfach nur polarisiert haben, eint uns alle eine einzige Eigenschaft, nämlich, dass wir wütend sind.
Warum sind Impfgegner:innen, Rechte und Verschwörungstheoretiker:innen denn lauter als sonst – weil sie wütend sind, und weil sie Angst haben.
Ihre polarisierende Rhetorik dient nicht unbedingt dazu, die anderen zu überzeugen, sondern befriedigt ein dringendes Bedürfnis: Jemandem die Schuld daran zu geben, dass es gerade schlimm ist. Und gibt ihnen ein besseres Gefühl, weil sie selbst es nicht sind, die die Schuld tragen.
Das halte ich für natürlich, das kenne ich von mir selbst. Wenn etwas Schlimmes passiert, empfinden die meisten Menschen zu irgendeinem Zeitpunkt Wut und suchen jemanden, auf den sie diese Wut lenken können, jemanden, der Schuld hat, der die Wut verdient hat und der dem eigenen Leid eine Ursache, einen Sinn gibt, indem er Schuld daran trägt. Impfgegner:innen schimpfen auf die Wissenschaft, die Wissenschaft auf die Wirtschaft, die Wirtschaft auf die Politik, die Politik auf ihresgleichen und Impfbefürworter:innen auf die Impfgegner:innen. Damit rechtfertige ich keinen der damit verbundenen Inhalte. Natürlich glaube ich nicht an Überwachung aus dem Untergrund, an Nervengifte in Impfungen oder irgendwelche Verjüngungselixiere. Aber ich kann verstehen, wie man dahin kommt. Ich kann verstehen, dass man enttäuscht ist von all den Fehlern, die außerhalb unserer Souveränität als Bürger:innen passiert sind und dass man einen Schuldigen braucht, damit die ganze Wut wenigstens ein bisschen erträglicher wird.
Und ich bin genauso wütend. Ich bin rasend, denn ich habe mir die letzten eineinhalb Jahre auch ganz anders vorgestellt und ich bin wütend für all die Menschen, die mir etwas bedeuten, und die an Corona erkrankt sind, die ihre Arbeit, Wohnung oder Ausbildung dadurch verloren haben, die Schulden haben wegen Corona und die, wie so viele, von der Politik einfach vergessen wurden!
Wütend bin ich auch auf all die Rechten, die ihr politisch verblendetes Gedankengut auf so fruchtbaren Boden haben fallen lassen können im letzten Jahr! Ich bin so wütend! Wie alle anderen. Allerdings habe ich deswegen nicht das dringende Bedürfnis, alle Menschen auf der Welt dahin zu bringen, dass sie mir in meiner Wut Recht geben, ganz gleich, wie abstrus meine so genannten Argumente sind.
Auch ich musste mich aufgrund meines Artikels in der Ausgabe vom Januar den Vorwürfen stellen, dass ich Hetze gegen Impfungen betreiben würde, obwohl es mir mehr um die Wirtschaft ging, auf die die Wissenschaft (zu Recht) schimpft.
Das Thema Wut, die endlose Frustration, die die ganze Pandemie bestimmt hat und weiterhin bestimmt, und die daraus resultierende Feindseligkeit habe ich nicht thematisiert und ich gebe all meinen Kritiker:innen und Zweifelnden absolut Recht, dass das ein Fehler war.
teil III:
wo ich meine meinung nicht geändert habe
Wie ich bereits genau ausgeführt habe, halte ich es nach wie vor für risikoreich, einen Impfstoff nach so kurzer Zeit zuzulassen. Nicht wegen der Nebenwirkungen, sondern weil er nicht für immer immunisiert und den Menschen zu viel Hoffnung gibt, wo zu wenig Potenzial steckt, denn, wie gesagt, die Pandemie wird dadurch nicht zu Ende gehen.
Ich bleibe auch dabei, dass ein Produkt, das mit der sprichwörtlichen heißen Nadel und relativ kurzfristig entwickelt wurde, auch nur kurzfristig rentabel und nützlich ist.
Aber was mir am wichtigsten ist: Ich bleibe dabei, dass Impfungen ein grundlegender Garant für das sichere Aufwachsen und Fortbestehen von uns und unseren Nachkommen ist und habe nicht und werde nie das Konzept solcher Prophylaxen in Frage stellen. Das ist eben keine individuelle Entscheidung, sondern eine Entscheidung für oder gegen diejenigen in der Gesellschaft, die nicht die optimalen Voraussetzungen für alles mitbringen.
Das bedeutet aber auch, dass ich gegen die Wut und die Feindseligkeit bin, die sich immer mehr und immer wieder im Großen und im Kleinen breit macht. Ich bin dagegen, Menschen bloßzustellen, weil ich sie nicht verstehe oder sie mich provoziert haben, bin dagegen, mir handwerkliche Unsauberkeit oder ethische Verstöße vorwerfen zu lassen, weil ich eine unbeliebte Meinung habe, ich bin dagegen, zu kollektivem Hass oder gar Gewalt aufzurufen, und ich bin für kritisches Hinterfragen, insbesondere der eigenen Meinungen und Motive. Und ich glaube nicht, dass mir jemand, egal aus welchem der „Lager”, in diesem letzten Punkt offen widersprechen würde.
Elisabet Bästlein
Redaktionsleitung
Elisabet versuchte einige Jahre lang vergeblich, ihr Studium der pharmazeutischen Chemie zu beenden. Heute arbeitet sie als Content-Managerin für ein Unternehmen in Bonn. Vor ihrer Studienzeit war sie als freie Journalistin in der Kreisredaktion Nordfriesland des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages (sh:z) tätig.